LASTENAUSGLEICH - Verkehr in der City

Beim DLR suchen Forscher nach Wegen, Städte aus der Abhängigkeit von klassischen Fahrzeugen zu befreien.
Hamburg macht in diesen Tagen ernst und setzt erste Durchfahrverbote für Diesel-Fahrzeuge um, vor allem für Lkw. Der Grund: Die Stickoxidbelastung ist einfach zu hoch. Mindestens genauso problematisch ist der anhaltend hohe Beitrag des Automobilverkehrs zum CO2-Ausstoß. Doch schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Zum einen wird eine spürbare Entlastung durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge noch viele Jahre dauern, zum anderen gibt es schlicht zu viele Autos, vor allem in Großstädten. In Adlershof forscht und arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an historischer Stelle nicht nur an Weltraumtechnologien, sondern auch an Lösungen von Problemen, die unsere Mobilität betreffen.

Ein Schwerpunkt der Forschung ist das Verkehrssystem. Beim DLR geht das Institut für Verkehrsforschung zum Beispiel der Frage nach, wie durch moderne Technologien und Konzepte der Verkehr auf Straße, Schiene, in der Luft und auf dem Wasser besser vernetzt werden kann – und das auf globaler, nationaler und besonders auch auf lokaler Ebene. „Wir werden uns wohl an eine stärkere Steuerung gewöhnen müssen“, sagt Professor Dr. Barbara Lenz. Zwar gibt es viele Ansätze, um die Verkehrsströme samt Emissionsthemen vor allem auf der Straße langfristig in den Griff zu bekommen. Auf die Schnelle allerdings sieht die Verkehrsforscherin und Hochschullehrerin Potenzial durch die Verlagerung des Individualverkehrs auf öffentliche Verkehrsmittel. „Wien macht es vor“, sagt Lenz, die das Institut für Verkehrsforschung leitet. „Angemessene Parkgebühren, konsequente Umsetzung von Anwohnerparken und Kontrollen zur Einhaltung der Maßnahmen auf der einen Seite, attraktive Preise beim öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auf der anderen Seite.“ Pläne dafür gibt es fast überall, gerade auch in Berlin. „Die Stadt- und Verkehrsplanung ist mit den richtigen Ideen unterwegs“, sagt Lenz, immer wieder schwierig ist die politische Umsetzung.
Blick aus der Höhe auf Mitte: In den Straßen und auf Plätzen rund um den Fernsehturm sind viele Pkw, Lkw und Busse gut zu erkennen
Blick aus der Höhe auf Mitte: 
In den Straßen und auf Plätzen rund um den Fernsehturm sind viele Pkw, Lkw und Busse gut zu erkennen
Die Missstände sind offensichtlich: Nicht ausreichend sichere Fahrradwege oder Busspuren, die ständig blockiert werden. Große Flächen an unbewirtschaftetem Parkraum, die Pkw-Fahrer in die Stadt locken. „Das ÖPNV-Netz in Berlin ist sehr gut und vergleichsweise preiswert, deshalb wird der öffentliche Verkehr von den Berlinern auch fast so oft wie das Auto genutzt. Jetzt geht es darum, auch die anderen Themen konzentriert anzugehen“, sagt Lenz, die Kopenhagen, aber auch Münster und Freiburg beim Radwegenetz als Vorbilder ausgemacht hat. Sogar London baut in der City leistungsfähige Trassen für Zweiräder. Und Berlin? Diese Stadt wächst rasant. Jährlich kommen im Saldo mindestens 40.000 neue Einwohner dazu. Viele bringen ihr Auto mit. Lenz: „Da haben wir wenig Effekte, wenn zwar immer mehr Berliner aufs Auto verzichten, andererseits der Zuzug so stark ist.“

Also vieles schlecht in der Hauptstadt? „Nein“, betont Lenz, die eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaft PwC zitiert, die sie mit dem Institut für Verkehrsforschung selbst begleitet hat. Dort heißt es: „Was Carsharing, Elektromobilität, digitale Infrastruktur oder Mobilitäts-Apps betrifft, hat sich in Deutschland viel getan.“ Allerdings liege man im internationalen Vergleich noch zurück. Verglichen mit Amsterdam, wo mehr als 5000 Elektrowagen unterwegs sind und es über 3000 Ladesäulen gibt, haben deutsche Großstädte erheblich Nachholbedarf, vom ländlichen Raum gar nicht zu reden. Immerhin: Die Rot-Rot-Grüne Stadtregierung Berlins will noch vor der Sommerpause das umkämpfte Mobilitätsgesetz beschließen, das besonders auch dem Radverkehr eine große Priorität einräumt. Auch das Ziel, dass bis zum Jahr 2030 Busse und Bahnen emissionsfrei und klimaneutral fahren, ist dort für die Hauptstadt definiert.

Und wie sieht es mit Zukunftsszenarien aus? Ist es denkbar, dass das Areal Adlershof mal ein Testlabor für das große Feld „autonomes Fahren“ wird? „Einen Testbetrieb kann ich mir hier in absehbarer Zeit durchaus vorstellen“, sagt Barbara Lenz. Strategisches Testgebiet mit Forschung und Industriepark unter der Überschrift „Smart City“ oder „Stadt der Zukunft“ mit allen urbanen Facetten wird in Berlin aber das Areal des Flughafens Tegel sein, wenn dieser schließen wird.
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„Wir werden uns wohl an eine stärkere Steuerung gewöhnen müssen“
Prof. Dr. Barbara Lenz
ist seit 2007 Direktorin des Berliner Instituts für Verkehrsforschung im DLR und Professorin für Verkehrsgeographie an der Humboldt-Universität

Obgleich die Städte die Bedeutung des autonomen Fahrens für die Ziele der Stadtentwicklung erkannt hätten, bilanziert PwC in der Studie, würden sie bislang noch nicht gestaltend aktiv. Treibende Akteure des autonomen Fahrens in Städten seien aktuell Automobilkonzerne, IT-Unternehmen und neue Mobilitätsdienstleister. Dabei könne das autonome Fahren einen wichtigen Beitrag für den ÖPNV, städtische Wirtschaftsverkehre oder die Entsorgungswirtschaft leisten. „Städte sollten diese Chancen unbedingt nutzen und das autonome Fahren als Bestandteil ihrer kommunalen Strategien entwickeln“, sagt Professor Dr. Dirk Heinrichs, der am Institut für Verkehrsforschung die Abteilung „Mobilität und urbane Entwicklung“ leitet.

Zunächst müssen freilich praktikable Lösungen erarbeitet werden, die Entlastung in den Innenstädten bringen. Zum Beispiel beim Thema Paketzustellung: Als großes Zuliefererunternehmen treibt die Deutsche Post/DHL die Zustellung auf der letzten Meile mit Elektrofahrzeugen massiv voran. Der StreetScooter, ein vom Post-Konzern mittlerweile selbst hergestelltes Zustellfahrzeug, ist bereits in ganz Deutschland unterwegs. Eine Variante bringt Hochschullehrerin Lenz ins Spiel: Das Lastenrad. „Das ist eine clevere Transportalternative für die gewerbliche Nutzung.“
In der Dörpfeldstraße in Adlershof wäre das ganz pragmatisch eine Verbesserung der Situation auf der dortigen Einkaufsstraße. Der enge Straßenschnitt, eine Tramlinie, viel Verkehr und steigendes Lieferaufkommen für 160 vorwiegend inhabergeführte Geschäfte: ein schwieriger Rahmen einschließlich Verkehrschaos. Der geplante zweigleisige Ausbau der Tram wird die Situation weiter verschärfen. Die Stadt Berlin hat die Einkaufsstraße aus diesem Grund in das Städtebauförderprogramm aufgenommen, das Institut für Verkehrsforschung wurde mit einer Untersuchung zum Lieferaufkommen beauftragt. Fest steht, dass das Optimierungspotenzial groß ist. Man arbeite jetzt im Auftrag der Berliner Agentur für Elektromobilität zusammen mit PwC an einem Ansatz, die Dörpfeldstraße mit digitalen Lösungen, einem Last-Mile- Operator und stadtverträglichen emissionsfreien Lastenrädern oder leichten Elektrofahrzeugen zu beliefern, sagt DLR-Expertin Lenz. Die Gewerbetreibenden müssten hierfür eine einheitliche Adresse angeben, an die zunächst alle Lieferungen zugestellt werden. Dann erfolge die abschließende Verteilung zum Beispiel mit Lastenrädern an die Kunden durch einen Last-Mile-Operator.

Unter dem Titel „Ich entlaste Städte“ treibt das DLR das Projekt mit Lastenrädern auch bundesweit voran. 21 verschiedene Cargobike-Modelle kommen dabei zum Einsatz. Mit Cargobikes ließen sich bis zu 40 Prozent aller Fahrten von Autokurieren ersetzen, stellt das DLR in einer weiteren Studie fest. Dabei treffe man gerade in Berlin auf großes Interesse von Unternehmen, Selbstständigen und öffentlichen Einrichtungen. Schon mehr als 30 Berliner Organisationen haben laut DLR beim Lastenradtest mitgemacht oder sind gerade dabei. Vielleicht ein kleiner Baustein, damit Fahrverbote wie in Hamburg künftig in Berlin doch nicht notwendig werden.
Andreas Mühl

Die Geschichte beginnt 1912

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Nach der Inbetriebnahme des zweiten europäischen Motorflugplatzes in Berlin-Johannisthal wurde im April 1912 die Gründungsurkunde des Vereins „Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt“ (DVL) unterzeichnet. Diese Vorgängerorganisation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) musste ihre Arbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg einstellen. Auf dem DVL-Gelände siedelten sich in den 50er Jahren Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR an, 1981 entstand hier das Institut für Kosmosforschung (IKF). 1990 unterzeichneten das IKF und die damalige Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt eine Vereinbarung, um die Arbeiten aufeinander abzustimmen. Das Know-how des IKF blieb erhalten und wurde in die neuen Strukturen der gesamtdeutschen Forschungslandschaft eingebracht. Das DLR Berlin wurde Anfang 1992 mit zwei neuen Instituten für Weltraumsensorik und Planetenerkundung gegründet. 2001 kam der Forschungsschwerpunkt Verkehr hinzu.

Forschung für den Weltraum und den Verkehr der Zukunft

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Die Tätigkeiten in Luftfahrt, Raumfahrt, Energie, Verkehr, Digitalisierung und Sicherheit sind in nationale und internationale Kooperationen eingebunden. Darüber hinaus ist das DLR im Auftrag der Bundesregierung für die Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten zuständig.
Der DLR-Standort Berlin-Adlershof
Im 1992 gegründeten Standort des DLR konzentrieren sich die Forschungsschwerpunkte Weltraum, Verkehr und Sicherheitsforschung. Hier arbeitet man an der Erforschung unseres Sonnensystems einschließlich der Entwicklung der dafür notwendigen optischen Sensoren. Der Standort hat sich vor allem durch die Beteiligung an den großen Missionen der Planetenforschung einen Namen gemacht: Mars Express, Cassini-Huygens zum Saturn, Dawn zu Vesta und Ceres, die Kometenmission Rosetta sowie die Mission CoRoT zur Suche nach extrasolaren Planeten. Neben der Planung und Vorbereitung von Weltraummissionen sind die Berliner DLR-Wissenschaftler auch an der Auswertung der wissenschaftlichen Ergebnisse beteiligt.

Der Forschungsschwerpunkt Verkehr widmet sich als Wegbereiter für ein umwelt- und sozialverträgliches Verkehrssystem und -management vor allem verkehrsträgerübergreifenden Konzepten. Im DLR_School_Lab Berlin können Kinder und Jugendliche unter Anleitung zu Forschern werden, indem sie Versuche mit aktuellem Bezug machen. In Berlin Charlottenburg arbeiten Fachleute daran, Lärm von Flugzeugantrieben und Gasturbinen zu mindern.
Fotos: DLR / GBSL

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